Transnationale Vermittlung in den skandinavisch-deutschsprachigen Literaturbeziehungen

Univ.-Prof. Dr. Antje Wischmann (Abt. Skandinavistik, Institut für Europäische und Vergleichende Sprach- und Literaturwissenschaft, Universität Wien)

Philipp Wagner, MA (Universität Greifswald), assoziierter Doktorand

Transnationale Literaturbeziehungen differenzieren sich im Zuge der Globalisierung fortlaufend in neue Netzwerke aus. Der Austausch und die Machtkonstellation zwischen den interagierenden Nationalliteraturen motivieren eine literatursoziologische Analyse des mehrsprachigen Zusammenspiels von ausgangs- und zielsprachiger übersetzter Literatur (siehe u.a. Johan Svedjedal 2012, Pascale Casanova 1999). Unser Forschungsprojekt interessiert sich für das Zusammenspiel der vermittelnden Instanzen und deren Umgang mit sogenannten Sprachbarrieren. 

Casanova argumentiert in ihrem Theorieentwurf The World Republic of Letters 2007 [1999] für eine Analyse der 'Weltliteratur', die das literarische Feld in Analogie zum globalen ökonomischen und politischen System begreift. Der jeweilige Wert der Sprache eines literarischen Textes wird ihr zufolge nicht durch die Zahl der Produzenten und Rezipienten im System generiert, sondern: ”[...] in terms of the number of cosmopolitan intermediaries – publishers, editors, critics, and especially translators – who assure the circulation of texts into the language or out of it” (S. 20 f.). 

Der Literatursoziologe Svedjedal untersucht in Svensk litteratur som världslitteratur (Schwedische Literatur als Weltliteratur 2012) die schwedischsprachige Literatur auf dem globalen Markt, da Schwedisch statistisch gesehen zu den zehn wichtigsten Ausgangssprachen für literarische Übersetzungen gehört. Für die wissenschaftliche Erschließung schlägt Svedjedal die eingehende Analyse von Bibliographien und Datenbanken, dokumentierten Kultur-policies, Übersetzungstätigkeiten oder AutorInnen- und Verlagsnetzwerken vor. Diesen Impuls greifen die beiden Fallstudien zu spezifischen Literaturvermittlungstätigkeiten auf.

Teilprojekte
"Bonniers Förlag - ein Verlag der schwedischen und übersetzten Autoren". Transnationale Strategien der Vermittlung (A. Wischmann)

Die nationalliterarischen Machtbeziehungen und die Konstituierung des Feldes werden zunächst auf institutioneller und verlagshistorischer Ebene untersucht, wobei sich der ausgewählte Verlag Bonniers traditionsgemäß bereits an europäischen Koordinaten der Literaturvermittlung orientiert. Die vertiefenden Analysen widmen sich u.a. den folgenden Fragen: Welche Vorannahmen werden im Gefüge der transnationalen Austauschbeziehungen (z.B. in literaturhistorischer, politischer oder ästhetischer Hinsicht) und anhand vermittelter Alteritätskonzepte wie Distanz und Nähe artikuliert? Mit welchen Wissensrahmungen operieren unterschiedliche Vermittlungsinstanzen, um die skandinavisch-/deutschsprachigen Texte in Ausrichtung auf deutsch-/skandinavischsprachige Literatur zu positionieren?

Die Lesereise der Dortmunder Gruppe 61 durch Schweden im April 1970. Eine Fallstudie zum kulturellen Austausch über Arbeiterliteratur und dessen Inszenierung (Ph. Wagner)

Komparative Untersuchungen zur ArbeiterInnenliteratur in Deutschland und Schweden bieten sich aufgrund des unterschiedlichen Stellenwertes des Genres im nationalliterarischen Feld für literatursoziologische Zugänge an (Nilsson 2014). In dieser Fallstudie wird die Lesereise als Ereignis analysiert, das kulturpolitisch die ‚Ebenbürtigkeit’ der deutsch- und schwedischsprachigen Literatur demonstrieren sollte. Anhand der medialen Repräsentation lässt sich erschließen, wie physische und kulturelle Mobilität im Sinne eines Austauschs zusammen gedacht und entsprechend inszeniert werden. Dabei wird nach den historischen Bedingungen eines spezifischen „regime of mobility“ (Glick Schiller/Salazar 2013) der Kulturpolitik beider Länder und dessen Auswirkungen auf literarische Felder gefragt.

Verortung des Forschungsbereichs im Mobilitäts-Diskurs

Das Projekt wählt transnationale kulturelle Mobilität als Untersuchungsschwerpunkt. An die bisherigen Resultate der Svedjedal-Forschergruppe soll angeschlossen, der quellenkritische Ansatz übernommen, aber das Augenmerk auf die Historizität verstärkt werden. Die empirische Basisarbeit erschließt unterschiedliche und wissenschaftlich noch nicht vollständig erfasste Mobilitätsphänomene bei der Lancierung sowie der fortlaufenden Kommentierung von Texten und VerfasserInnen (wie ÜbersetzerInnen, AutorInnen, KritikerInnen) in transnationalen Feldern.